Verkehrsunfallflüchtigen mit Kreativität und vereinten Kräften ermittelt
Die Polizeihauptkommissare Gerhard Schulze und Ulrich Dickel sind Verkehrsunfallfluchtermittler des Verkehrskommissariates Siegen. Sie sind Experten auf ihrem Fachgebiet.
Sie haben schon viel erlebt, doch an diesem Morgen waren auch sie sprachlos: Mit einem selbstgebackenen Kuchen stand eine 69-jährige Dame vor ihnen und bedankte sich überschwänglich bei den beiden Sachbearbeitern. Alles war jetzt gut, was so traurig begann.
Zwei Monate zuvor war die Frau als Autofahrerin an einem Donnerstagabend kurz nach 21 Uhr zusammen mit ihrem Ehemann auf der B 54 in Burbach in Richtung Autobahnanschlussstelle Haiger unterwegs. Bereits geraume Zeit fuhr ein jüngerer Mann mit seinem blauen kleinen Auto immer wieder dicht auf. Und dann kam, was wohl kommen musste: Als die erfahrene Fahrzeuglenkerin langsamer fahren musste, rauschte der junge Wilde mit seinem PKW in das Heck des vorausfahrenden Fahrzeuges. Nichts Weltbewegendes, aber immerhin ein Schaden von rund 1300 Euro am Auto des älteren Ehepaares. Schnell fuhr man nach rechts an den Straßenrand. Ein etwa 20-jähriger, blonder Mann stieg drahtig aus dem Kleinwagen. Sogleich räumte er großmütig ein, dass er schuld und alles kein Problem sei. Erleichtert beschlossen der Mann und die Frau, das Auto noch ein Stück weiter nach rechts zu fahren.
Die Ankündigung des Ehepaares „Wir rufen dann mal die Polizei an!“ läutete dann jedoch einen Bruch in der bis dahin überschaubaren Entwicklung ein. Während die Geschädigten ihr Auto nach rechts fuhren, machte sich der junge Mann mit seinem Gefährt unbemerkt aus dem Staub. Nach Einschätzung des Paares löste er sich quasi in Luft auf. Sie hatten keine Ahnung, wie und wohin er verschwunden war. Erschrocken informierten die so "Verlassenen" von der Unfallstelle aus die Polizei.
Doch im Rahmen der anschließenden Unfallaufnahme kam man dem Flüchtigen zunächst nicht auf die Spur. Zu vage waren die Angaben der Zeugin und ihres Mannes. Doch man fand aus Sicht der Polizisten Schulze und Dickel quasi "das Ende eines Wollfadens", den es nun im Verlauf der weiteren polizeilichen Ermittlungen aufzuwickeln galt: Blaue Plastikteile seines Autos hatte der junge Mann nämlich an der Unfallstelle zurückgelassen.
Die aber genügten Polizeihauptkommissar Schulze. Schnell puzzelte er sich die Teile auf seinem Schreibtisch zusammen und ging damit zu einer Siegener Lackiererei. Treffer: „Die gehören zu einem blauen VW Lupo!“ beschied ihn der Experte dort. Na also! Blieb das fehlende Kennzeichen. „Der konnte natürlich überall herkommen. Wahrscheinlich war es aber, dass er aus den Grenzbereichen im Dreiländereck kam. Deshalb habe ich eine gezielte Fahndung auch in Hessen und Rheinland-Pfalz bei den mir dort bekannten Kollegen eingeleitet“, so Gerhard Schulze.
Ein Polizeibeamter der Polizeiinspektion Westerburg recherchierte für seinen Zuständigkeitsbereich in der Zentralen Verkehrsinformationsdatei des Kraftfahrtbundesamtes nach passenden Autos. 15 Treffer, die es zu überprüfen galt. Dabei half Kommissar Zufall: Schon das erste Auto passte, ein Westerwälder VW Lupo. Routiniert wurden nun die Beweise gesichert und der vermeintliche Fahrzeughalter befragt. Der hieß zwar nicht Pontius Pilatus, beteuerte aber gleichwohl, unschuldig zu sein. Und er konnte noch einen Hinweis auf den Unfallschaden und den aktuellen Standort des Autos in Detmold bei einem Autohändler geben. Der Rest war dann Routine: Ulrich Dickel und Gerhard Schulze ermittelten erst selbst telefonisch in Detmold und schalteten später auch die dortige Polizei ein. Die Maßnahmen führten schließlich zum 25-jährigen Täter, der sich in einer dortigen Klinik aufhielt.
Die in Burbach aufgefunden und zusammengesetzten Plastikteile fanden im Rahmen einer Fahrzeugbesichtigung in Detmold ihren "verwaisten" Platz in der vorderen Stoßstange und wurden dort umfangreich fotografiert.
Auch das Motiv für die Unfallflucht war recht einfach: Der junge Sportfahrer hatte zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Führerschein mehr!
Der Fall zeigt, dass Verkehrsunfallflucht kein Kavaliersdelikt ist! Wir versuchen alles, damit die Opfer ihr Recht bzw. Geld bekommen und sie sowie auch die Allgemeinheit nicht selbst auf den Unfall- und Folgekosten hängen bleiben. Dabei nutzen wir neben altbewährter Ermittlungsarbeit insbesondere auch die Segnungen der modernen Kommunikations- und Kriminaltechnik. So bringen uns zum Beispiel wissenschaftliche Lackvergleiche, Fahrzeugteilesammlungen, aber auch Finger- oder DNA-Spuren weiter. Uns stehen Fahrzeug- und Kennzeichendateien zur Verfügung. Wir haben Kontakte zu örtlichen Fachbetrieben, aber auch zu anderen Behörden. Wir aktivieren im Einzelfall auch überörtliche Fahndungsstränge der Polizei.
Ganz besonders wichtig ist für uns aber die Hilfe der Menschen in unserer Region, die wir über Presse oder Rundfunk erreichen und um Unterstützung bitten. Oft genug gehen wir dazu von Haustür zu Haustür an den Unfallorten, um entscheidende Hinweise zu bekommen. Immer wieder verteilen wir Fahndungsflyer, bringen Plakate an geeigneten Stellen an oder nutzen auch das Internet für unsere Zwecke. Unsere Netze haben eben viele Maschen!“